Das Infra-Gewöhnliche

Alltagsfragmente des Grazer Umlands

Bernhard Helfried Ogrisek

Betreuung:
Assoc.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Andreas Lechner
Institut für Gebäudelehre
2022
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Die periurbane Landschaft wächst und verändert sich – kontinuierlich, scheinbar ohne Plan oder Konzept, jedenfalls ohne architektonisch nennenswertem Zutun; sie entwickelt sich ohne Bild. Jenseits klar definierter, lesbarer Stadträume werden Identität, Ausdruck und Relevanz schnell zur Gewerbeimmobilie oder Privatsache, sprich zu relativ architekturbefreiten, unübersichtlichen Kontexten aus anonymen Zweckbauten, Infrastrukturen, Industriestätten, Gewerbezeilen und Siedlungsbauten. Das Leben innerhalb derartiger Zwischenexistenzen gleicht einer manifestierten Normalität. Dennoch besitzen diese ästhetisch oftmals mangelhaften, schmerzhaft eigenschaftslosen und gewöhnlichen Räume, Qualitäten und identitätsstiftende „Architekturen“, die auf die Bewusstwerdung, Freisetzung und Nutzung ihrer Potenziale warten. Diese Abschlussarbeit formuliert eine Philosophie der Alltagsbeobachtung aus, die durch konzentrierte Wahrnehmung bis ins kleinste Detail eine baulichen Realität anerkennt, „neu“ erschließen und damit befragen möchte. Kontext dieser Neu- und Aufschließung ist die Verstädterungslandschaft des Reiner- und Gratwein-Gratkorner Beckens, dessen räumliche Monotonie anhand von Beobachtungsspaziergängen erforscht wird. Der Wahrnehmung folgt ein bewusstes An-Erkennen des Endotischen, des Infra-Gewöhnlichen, das sich der Aufmerksamkeit, aufgrund seiner völligen Selbstverständlichkeit und So-Gegebenheit, innerhalb des gewöhnlichen, heimischen Alltagsraumes, entzieht. In der vorstädtischen Agglomeration bilden Infrastrukturen als endotische Erinnerungsfragmente den Unterbau, das ortsimmanente, tragende Skelett. Diese unbeachteten, übersehenen baulichen Formen werden durch den abstrakten künstlerisch-wissenschaftlichen Blick der Zeichnung analysiert, ergründet und im Nicht-Ort des Archivs nebeneinander positioniert. Durch das Ordnen der folglich dekonstruierten Elemente der archivalischen Sammlung werden diese verortet und flüchtig fixiert im projektiven Raster, beziehungsweise im Medium des Buches, wo sie darauf warten, als Ressource spekulativ weitergedacht zu werden. Die Beobachtungen werden zu hybriden zeichnerischen Entwurfsfragmenten einer Suche nach Ursprung, Gegenwart, Transformation und Zukunft.